Von Zero Bonds über Bootstrapping bis zur Interpolation – ein Leitfaden für Praktiker und Analysten.
Die Zinsstrukturkurve ist ein zentrales Instrument der Finanzmarktanalyse – sie gibt Auskunft über Zinserwartungen, wirtschaftliche Entwicklungen und beeinflusst Finanzierungsentscheidungen von Unternehmen, Staaten und Investoren. Doch was genau zeigt die Kurve – und wie lässt sie sich verlässlich berechnen? Dieser Beitrag gibt einen strukturierten Überblick über Methoden, Modelle und Herausforderungen bei der Bestimmung von Zinsstrukturkurven – von der Renditestruktur über Zero Bonds bis hin zu Bootstrapping- und Interpolationsverfahren.
Die Zinsstruktur beschreibt, wie sich Zinssätze in Abhängigkeit von der Laufzeit eines Finanzinstruments verändern. Sie wird durch die Zinsstrukturkurve veranschaulicht, die Anlegern und Ökonomen wichtige Hinweise auf zukünftige wirtschaftliche Entwicklungen gibt.
In der Regel sind langfristige Zinssätze höher als kurzfristige, da Investoren für eine längere Kapitalbindung eine höhere Rendite erwarten. Diese Form wird als normale Zinsstrukturkurve bezeichnet. Es gibt jedoch auch Phasen, in denen kurzfristige Zinssätze über den langfristigen liegen – ein Phänomen, das als inverse Zinsstrukturkurve bekannt ist. Eine inverse Zinsstruktur deutet häufig auf eine erwartete wirtschaftliche Abschwächung oder sinkende Zinsen in der Zukunft hin.
Die Zinsstruktur spielt eine entscheidende Rolle für die Finanzierungsentscheidungen von Unternehmen, Staaten und Haushalten:
▪️Unternehmen orientieren sich an langfristigen Zinssätzen, um Investitionen zu planen.
▪️Regierungen nutzen die Zinsstruktur, um Anleihen strategisch zu platzieren.
▪️Banken passen ihre langfristigen Kreditzinsen entsprechend an.
▪️Zentralbanken analysieren die Zinsstruktur, um ihre Geldpolitik gezielt zu steuern.
Während kurzfristige Zinssätze stark von geldpolitischen Maßnahmen beeinflusst werden, hängen langfristige Zinsen stärker von Inflationserwartungen und Wirtschaftswachstum ab.
Die Zinsstrukturkurve dient als zentrale Grundlage für die Bewertung von Finanzinstrumenten wie Anleihen, Leasingverbindlichkeiten oder Derivaten. Sie beeinflusst maßgeblich den Barwert zukünftiger Zahlungsströme und damit die Preisbildung dieser Instrumente.
Obwohl die Begriffe häufig synonym verwendet werden, bezeichnen sie unterschiedliche Konzepte:
▪️Die Renditestrukturkurve (Yield Curve) zeigt, wie sich die effektiven Renditen (Yield-to-Maturity, YtM) von Anleihen mit unterschiedlichen Laufzeiten entwickeln.
▪️Die Zinsstrukturkurve (Zero Curve) zeigt die effektiven Zinssätze von Nullkuponanleihen über unterschiedliche Laufzeiten.
Die Rendite ergibt sich aus dem Zinssatz, bei dem der Barwert aller zukünftigen Zahlungen dem aktuellen Marktpreis entspricht:
Da sich diese Gleichung nicht direkt nach der YtM auflösen lässt, erfolgt die Berechnung in der Praxis meist über algorithmische Näherungsverfahren.
Ein Nachteil der Renditestrukturkurve liegt darin, dass sie nur einen durchschnittlichen Zinssatz pro Anleihe liefert. Besonders bei stark variierenden Zinssätzen über verschiedene Laufzeiten hinweg kann das zu Verzerrungen führen, da Kuponzahlungen und Rückzahlungsbetrag zusammengefasst werden.
Die Zinsstrukturkurve zeigt die effektiven Zinssätze von Nullkuponanleihen. Da diese nur eine Zahlung am Ende der Laufzeit haben, kann für jede Laufzeit ein exakter Zinssatz bestimmt werden – ohne Verzerrung durch Kupons.
Da es in der Praxis selten ausreichend Nullkuponanleihen gibt, wird auf Bootstrapping zurückgegriffen. Dabei werden Kuponanleihen schrittweise in synthetische Nullkuponanleihen umgerechnet. Beispiel:
Zunächst wird r₁ aus einer bekannten einjährigen Nullkuponanleihe verwendet. Anschließend wird r₂ für die zweijährige Laufzeit algorithmisch bestimmt – und so weiter. Jeder Zinssatz baut auf dem vorhergehenden auf, daher der Name "Bootstrapping".
Zur Erstellung der Zinsstrukturkurve werden meist Staatsanleihen verwendet, da diese als risikofreie Benchmark innerhalb eines Landes gelten.
Die Vorgehensweise:
1. Rendite-Laufzeit-Kombinationen für alle verfügbaren Anleihen ermitteln.
2. Funktionalen Zusammenhang herstellen – mit Hilfe von mathematischen Modellen.
Zwei etablierte Verfahren werden besonders häufig eingesetzt:
Verwendet seit 1997 das Svensson-Modell, eine Erweiterung der Nelson-Siegel-Funktion. Hierbei werden geschätzte Parameter mittels Regression an die beobachteten Renditen angepasst.
Die US-Notenbank verwendet eine quasi-cubic Hermite Spline (HS) Interpolation. Renditen werden auf definierte Stützstellen gerundet, gemittelt und durch kubische Funktionen verbunden.
Auch Datenanbieter wie Bloomberg oder LSEG (ehemals Refinitiv) nutzen ähnliche Verfahren, um markttaugliche Zinsstrukturkurven zu generieren.